Das Wesen des Korans
11.01.2015 21:12
Universität Wien
Institut für Bildungswissenschaft
Islamische Religionspädagogik
Seminar:
Koran im Kontext der Neuzeit und fachdidaktische Konsequenzen
Wintersemester 2006/07
Dozent: Prof. Dr. Tahsin
Görgün
Hausarbeit über:
Das Wesen des Korans
INHALTSVERZEICHNIS
Das Wesen des Korans
Einführung
1. Ursprung des Wortes Koran
2. Die erste Rechtsquelle des Islam: Der Koran
3. Aus dem Buch „al-Mustafsa min ’ilm al-usul“ von Imam al-Ghazalî
A. Die Rechtsquellen
B. Die Wahrheit über ’al-kitâb’
C. Definition von ’al-Kitâb’.
D. Die Aussagen und Wörter des ’al-kitâb’
a) Gibt es im
Koran Metapher (Me’dschaz)?
b) Gibt es im
Koran Wörter, die nicht arabisch sind?
c) Gibt es im
Koran Mehrdeutigkeit (’mutaschabihat’)?
Schlussgedanken
Literaturverzeichnis
Einführung
Um das Wesen dieses besonderen Buches näher zu bringen, möchte ich
zuerst einige Zitate zum Koran anführen.
„Der Koran ist ein sprechendes Universum. Das Universum ist ein
schweigender Koran.“ (Islamischer Weisheitsspruch)
"Der Koran fließt über von ausgezeichneten moralischen
Empfehlungen und Geboten. Er ist so aufgebaut, dass wir nicht eine einzige
Seite lesen können ohne auf Maximen zu stoßen, denen alle Menschen zustimmen
müssen. Seine fragmentarische Einteilung führt zu Texten, Leitmotiven und
Regeln, die in sich abgeschlossen sind in einer Weise, dass sie für den
normalen Menschen in jeder Lebenslage zutreffen." (Draper, 1864, S. 274)
"Die Stärke des Korans besteht darin, dass ein Muslim oder
jedermann ihn an irgendeiner Seite aufschlagen kann und eine Botschaft bekommt,
die sich mit der Bedeutung des Lebens befasst." (Esposito, 2001)
"Grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper
dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch darangehen, immer von neuem
anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt
[…] Der Stil des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäß streng, groß,
furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den anderen, und
darf sich über die große Wirksamkeit des Buches niemand verwundern."
(Ahmad , 1980, S. 7)
"Insgesamt gesehen finden wir in ihm eine Sammlung von
Weisheiten, die auch von den intelligentesten Menschen übernommen werden
könnte, den Größten unter den Philosophen und den Fähigsten unter den
Politikern... Doch es gibt einen weiteren Beweis für die Heiligkeit des Korans:
die Tatsache, dass er über die Jahrhunderte hinweg seit seiner Offenbarung bis
auf den heutigen Tag unverändert bewahrt worden ist." (Vaglieri, 1930, S. 57-59)
Der evangelische Theologe Prof. Dr. Paul Schwarzenau (1982) sagt
über den Koran:
Meine Gedanken - Gedanken eines Christen - zum Quran beruhen auf
einem sehr persönlichen Quranerlebnis, von dem ich zu Beginn wenigstens
andeutungsweise reden möchte. Ich befand mich körperlich und seelisch in einem
Zustand der Krise; angesichts einer nahenden Krankheit war ich körperlich ganz
leicht und seelisch wie mir selbst entnommen. Dazu kam persönlicher Schmerz. In
dieser Zeit kam mir der Gedanke, den Qur’an zu lesen. Ich hatte mich früher
schon öfter darin versucht, den Qur’an im Zusammenhang zu erfassen, doch hatte
ich mehr den Eindruck, einer ungeordneten Masse von Sentenzen, Bildern und
Erzählungen gegenüberzutreten. Dann erlebte ich mich auf einmal durch den
Qur´an wie ganz vom Sprechen Gottes umgriffen. Ich erlebte den Qur´an als die
Sprachwerdung Gottes. Gott umfasst alles Geschehen. Gott öffnet dem Menschen
die Brust, und die Verse Gottes dringen als seine Zeichen in den Menschen ein
(…) Ich erlebte den Quran wie eine Bibel hoch zwei, eine Bibel der zweiten
Potenz, und das Bild vom von innen durchleuchteten, unendlich facettierten,
übergroßen Juwel tauchte in mir auf, als ich den Quran in meiner »Qur’ankunde
für Christen« beschrieben habe. Mein Quranerlebnis ist die Geburtstunde für
dieses mein Buch geworden. Es war für mich kein Zweifel mehr, im Qur´an dem
Worte Gottes zu begegnen. Ich erfuhr den Quran als aktualisierten Monotheismus. (S. 115ff)
Wie man sehen kann, haben sich schon viele Menschen mit diesem Buch
auseinandergesetzt. Ein Buch, über das viel gesagt und geschrieben wurde und
noch bis heute wird und ein Buch, von dem man behaupten kann, dass es das
meistgelesene Buch der Welt ist.
Über den Koran reden dieser Tage viele: Manch einer sieht in ihm
„die Bibel der Muslime“, manch anderer behauptet, er sei ein „Gesetzbuch“, der
eine erkennt in ihm vordergründig ein sprachlich-ästhetisches Wunderwerk, der
andere wiederum sieht ihn gar als eine politische Herausforderung. Sicher ist,
dass er die islamischen Kulturräume seit nunmehr über 1300 Jahren in fast all
ihren Facetten geprägt hat, von Marokko bis zum Hindukusch, von Zentralafrika
bis zum Kaukasus, sei es nun im spirituellen oder im profanen Bereich, in der
Sprache, in der Wissenschaft, in der geistesgeschichtlichen Entwicklung
islamisch geprägter Völker, in den Künsten, aber auch schlichtweg im Alltag
aller Muslime weltweit. Und obwohl das Wissen übereinander die Grundlage eines
gelungenen interreligiösen und interkulturellen Dialogs bildet, haben z.B. in
Europa die wenigsten Menschen „den Koran einmal in der Hand gehabt“ oder mit
einem Muslim dessen Inhalte diskutieren können.
Die Bildung der Menschen reicht nicht aus, diesem Buch nur halbwegs
gerecht zu werden. Wenn verschiedene Wissenschaftler zusammenarbeiten würden,
kämen sie zu keinem endgültigen Ergebnis, denn der Koran gibt in jeder Epoche
jeder Person immer wieder neue Erkenntnisse. Deshalb ist er das Buch, das
jederzeit relevant ist.
Wenn man die islamische Geschichte näher betrachtet, war der Koran
stets Anlass, Ursache und Grund dafür, dass die Araber und die Muslime sich mit
der Wissenschaft auseinandersetzten. Durch den Koran wurden die Araber bewegt,
sowohl eine Grammatik festzulegen als auch Sprachlexika zu erstellen. Er gab
ihnen den Anstoß, sich mit der Kalam-Wissenschaft, mit der Logik und mit der
Vernunft auseinanderzusetzen. Daher waren sehr viele der islamischen
Naturwissenschaftler auch gleichzeitig hervorragende Korangelehrte.
Diese Hausarbeit versucht nun einen Einblick in das Wesen des
Korans im Allgemeinen zu geben.
1. Ursprung des Wortes Koran
„Heilige“ Schrift wird nur diejenige bezeichnet, dessen Herkunft
übernatürlich ist und die, die Wahrheit aussagt und dessen Aussagen bindend
sind. Deshalb kann heute wenn, dann nur der Koran als „heilige Schrift“
bezeichnet werden, weil der Islam die einzige Religion ist, die ihr Buch auch
wirklich als „Wort Gottes“ sieht.
Der Koran ist eine einzigartige authentische heilige Schrift, ein
Buch ohne Beispiel, denn er ist im Laufe der Geschichte des 7. Jahrhunderts
entstanden. „Er ist sofort nach Entstehung schriftlich fixiert worden und hat
nicht mehrere oder gar unbekannte Autoren, sondern wurde einem einzigen
Menschen (Muhammad (Friede sei mit Ihm)) übermittelt, dessen Lebensdaten
vollständig bekannt sind.“ (Hofmann, 2002, S. 11)
Das Wort Koran (arabisch:
’al-qur'an’) ist ein Nomen. Nach dem Gelehrten Asch-Schafî steht dieses Nomen
als Eigenname für den Koran und stellt keine Ableitung eines anderen Wortes
dar. Manche Gelehrte sind jedoch der Ansicht, dass sich das Wort vom Verb
’qarana’ (das Eine zum Anderen fügen, d.h. etwas zusammenbringen) ableitet. Und
andere Gelehrte gehen davon aus, das ’al-qur'an’ das Substativ zum Verb
’qara’a’ (vortragen, rezitieren) ist.
Die fachspezifische Definition (terminus technicus) von ’al-qur’an’
lautet:
„Allahs Worte, die Gotteseigen sind, die dem Gesandten Muhammad
(Friede sei mit Ihm) durch den Offenbarungsengel Gabriel (Dschibril)
hinabgesandt wurden, deren Rezitation ein Gottesdienst (`Ibada) darstellen und
als Mutawatir-Überlieferung (jeder Vers im Koran erreichte uns durch eine große
Anzahl von Tradenten in jeder Tradentengeneration unter Ausschluss des
Absprechens einer Falschaussage) übermittelt wurden und ’Mu’dschiz’- Charakter
(Wundercharakter) besitzen.“
2. Die erste Rechtsquelle des Islam: Der Koran
Obwohl der Koran ein theologisches Buch ist, spielt er doch im
rechtlichen Bereich eine größere Rolle, denn der Islam ist eine umfassende
Lebensart und der Koran die Anleitung dazu. Der normative Name ist „Scharia“
(Weg zur Quelle). Er enthält Anweisungen zum Verhalten des Menschen gegenüber
seinem Schöpfer, seiner Umwelt (Mensch, Tier, Natur) und sich selbst.
Man unterscheidet zwischen Empfehlungen und Missbilligungen,
zwischen Geboten und Verboten und zwischen strafbewehrten und nicht
strafbewehrten Normen. Die Strafen werden auch unterteilt in Strafen im
Diesseits und Strafen im Jenseits. Daher ist für jeden Muslim die „Scharia“
verbindlicher Maßstab seines Verhaltens.
Ungefähr 10% des Koran besteht lediglich aus Rechtsvorschriften und
davon behandeln wiederum mehr als die Hälfte die Gottesdienstlichen
Angelegenheiten des Menschen gegenüber seinem Schöpfer. Die Mehrheit der
normativen Verse betrifft die Bereiche Familien-, Ehe- und Erbrecht. Der Koran
regelt auch die Beziehung zwischen den Geschlechtern, soziale Verpflichtungen,
Kleidungsordnung und die Moralvorstellung. Auch werden staatsrechtliche,
völkerrechtliche und wirtschaftsrechtliche Angelegenheiten festgelegt.
Weiterhin enthält der Koran auch Vorschriften zum materiellen und prozessualen
Strafrecht wie Mord, Körperverletzung, Raub, Diebstahl, Verleumdung, Unzucht
und Hochverrat.
All diese genannten Aspekte sind deshalb Gegenstand der „Scharia“.
Folgende Grundsätze kann man nach Murad Hofmann (2002) aus der
Scharia ableiten:
Alles ist erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten wurde.
Die Not kennt keine Tugend: „Verboten hat Er euch nur (den Genuss
von) natürlich Verendetem, Blut, Schweinefleisch und dem, worüber etwas anderes
als Allah angerufen worden ist. Wenn aber jemand (dazu) gezwungen ist, ohne
(es) zu begehren und ohne das Maß zu überschreiten, so trifft ihn keine Schuld;
wahrlich, Allah ist Allverzeihend, Barmherzig.“ (2:173).
Ein Delikt darf nur im Verhältnis zu seiner Schwere bestraft
werden: „Die Vergeltung für eine Übeltat soll ein Übel gleichen Ausmaßes sein;
dessen Lohn aber, der vergibt und Besserung bewirkt, ruht sicher bei Allah.
Wahrlich, Er liebt die Ungerechten nicht.“ (42:40).
Die Religion soll das Leben erleichtern und nicht erschweren: „ (…)
Wer also von euch in dem Monat zugegen ist, der soll in ihm fasten. Und wer
krank ist oder sich auf einer Reise befindet, soll eine Anzahl anderer Tage
(fasten) - Allah will es euch leicht, Er will es euch nicht schwer machen -
damit ihr die Frist vollendet und Allah rühmt, dass Er euch geleitet hat.
Vielleicht werdet ihr dankbar sein.“ (2:185).
Gemeinnutz geht vor Eigennutz.
Notfalls ist das geringere von zwei Übeln zu wählen.
Was zu Verbotenem führt ist selbst verboten. (Bsp: „Und kommt der
Unzucht nicht nahe; seht, das ist eine Schändlichkeit und ein übler Weg.“
(17:32). Hier wird deutlich gemacht, dass alle Wege die zu Zina (Unzucht)
führen können, auch verboten sind (Augen-Zina, Gehör-Zina, Hand-Zina usw.). (S.
80)
Zusätzlich zum Koran gibt es im Islam weitere Rechtsquellen
(Jurisprudenz):
Sunna (die Handlungen, die Aussagen und die Billigungen des
Propheten Muhammad (Friede sei mit Ihm))
Idschma (der Konsensus der islamischen Rechtsgelehrten)
Qiyas (Analogieschluss).
Die Scharia bzw. der Koran bekommt die notwendige Flexibilität
durch das Zusammenspiel von Qiyas und koranischen Prinzipien.
3. Aus dem Buch „al-Mustafsa min ’ilm al-usul“ von Imam al-Ghazalî
A. Die Rechtsquellen
Imam al-Ghazalî schreibt in seinem Buch „al-Mustafsa min ’ilm
al-usul“ über den Koran im zweiten Kutub (Buch) folgendes:
„Wenn man gründlich nachdenkt, erkennt man schnell, dass es
eigentlich nur eine Rechtsquelle gibt, und das ist das Wort Gottes. Denn die
Wörter des Propheten Muhammad (Friede sei mit Ihm) sind weder Normen, noch sind
sie bindend. Er sagt nur aus, was Gott als Normen herabgesandt hat. Deshalb
gebührt nur Gott eine Norm aufzustellen. Die Vernunft dagegen ist keine
Rechtsquelle des Islam.
Wenn wir betrachten, wie die Normen des Korans zu uns gelangt sind,
erkennen wir sofort den Propheten Muhammad (Friede sei mit Ihm) als Sprachrohr.
Denn wir haben die Verse des Korans nicht von Allah oder von Dschabrail gehört,
sondern allein von Muhammad (Friede sei mit Ihm). Der Prophet hat außer dem
Koran auch die Hadithe ausgesprochen, die jedoch für uns weniger bindend sind.
Deshalb kommt die Verbindlichkeit des Korans nicht dadurch, dass Muhammad
(Friede sei mit Ihm) es ausgesprochen hat, sondern weil es die Wörter Gottes
sind.
Da jedoch nicht alle Normen ausführlich im Koran geschildert sind,
haben die Gelehrten die drei weiteren Quellen stets berücksichtigt.“
B. Die Wahrheit über ’al-kitâb’
Ghazalî schreibt unter der Überschrift „Die Wahrheit über das Buch“
weiter:
„Kalâm (Das Sprechen) ist einer der ewigen Eigenschaften Gottes und
hat zwei Bedeutungen:
Das, was ausgesagt wird.
Das, was dem Ausgesagten entspricht.
Kalâm an-Nafs (aus sich selbst sprechend) wird unterteilt in
’habar’ (Bericht), ’istihbar’ (Frage), ’amr’ (Befehlsform, Imperativ), ’nahiy’
(Verbotsform, negativer Imperativ) und ’tanbih’ (Warnung). Ausser ’habar’, das
mit „Wissen“ (konstative Äußerung, die entweder wahr oder falsch ist) verknüpft
ist, sind alle anderen Formen mit dem „Willen“ (’inscha’, performative
Äußerung, die man annehmen oder ablehnen kann) verbunden, d.h. Gotteswort ist
Ausdruck seines Willens und seines Wissens.
Der „Kalâm“ Allahs und sein
Wissen sind einzig und ewig, so dass auf Erden und im Himmel nichts geschieht
außerhalb seines Wissens. Doch die Erklärung dazu bedarf intensiver
Beschäftigung. Dies ist die Aufgabe der Kalâm-Wissenschaftler und nicht die der
Usul-Gelehrten (Rechtsgelehrten).
Der „Kalâm“ Allahs unterscheidet sich von dem des Menschen, dass Er
keine Instrumente wie Zunge, Buchstaben oder Phonetik braucht um zu „Sprechen“.
Der Mensch jedoch ist abhängig von diesen, ohne die er sich nicht artikulieren
könnte. Außerdem ist Gott in der Lage, ohne irgendwelche Hilfsmittel das
„Hören“ für die Menschen zu ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist Musa (Friede
sei mit ihm), der Gott „hören konnte“.
Gottes Wort von Menschen zu hören ist so, als ob man es direkt von
Gott gehört hätte:
„Und wenn einer der Götzendiener bei dir Schutz sucht, dann gewähre
ihm Schutz, bis er Allahs Worte vernehmen kann; hierauf lasse ihn den Ort
seiner Sicherheit erreichen. Dies (soll so sein), weil sie ein unwissendes Volk
sind“ (9:6).“
C. Definition von ’al-Kitâb’
Weiterhin gibt Ghazalî in seinem Buch die Definition von ’al-Kitâb’
(das Buch) wieder.
„’al-Kitâb’ wird definiert als: „ein ’Mushaf’ (gebundene Blätter)
zwischen zwei Deckeln, der als 7 ’huruf’ (Lesearten) hinabgesandt wurde und als
Mutawatir-Überlieferung zu uns gelangt ist“. Hier meinen wir mit ’al-Kitâb’ den
Koran. In unserer Definition verwenden wir den Begriff ’Mushaf’, also ein
gebundenes Buch, weil die Gefährten des Propheten stets darauf achteten, dass der
Koran vollständig bleibt, dass nichts anderes hinzugefügt wird, und dass sein
Inhalt nicht mit dem der Hadithe vermischt wird. Deshalb wissen wir, dass was
im ’Mushaf’ geschrieben steht, nichts außer dem Koran selbst ist, und dass was
nicht im ’Mushaf’ geschrieben ist, nicht der Koran sein kann. Es ist
konventionell weder möglich etwas vom Koran herauszunehmen, noch möglich etwas
Neues einzufügen.
Die Antwort auf die Frage: „Wäre es nicht möglich den Koran auch
mit ’mu’dschiz’ (Wundercharakter, der den Menschen herausfordert, ähnliches
hervorzubringen, vgl. folgenden Vers: „Und wenn ihr im Zweifel seid über das,
was Wir unserem Diener [Muhammad] als Offenbarung herabgesandt haben, so bringt
doch eine Sure [Kapitel des Qur`an] gleicher Art hervor und ruft eure Zeugen
außer Allah, wenn ihr wahrhaft seid.“ (2:23)) zu definieren?“, lautet ein
klares Nein, denn:
a) Dass der Koran ’mu’dschiz’ ist, sagt nicht aus, dass er das Buch
Gottes ist, sondern zeigt die Wahrhaftigkeit des Propheten. Denn außer dem Buch
Gottes kann auch etwas anderes ’’idschaz’ sein.
b) Einige Verse sind nicht ’mu’dschiz’ obwohl sie aus dem ’Kitâb’ sind.“
Ghazalî erörtert anschließend zwei Exempel, ob sie
Mutawatir-Überlieferungen sind, und somit zum Koran gehören oder nicht?
1. Beispiel: Ibn-i Mas’ud las folgenden Vers: فَصِيَامُ
ثَلاَثَةِ أَيَّامٍ"„
(5:89) immer so: „Fe siyâmu thelâtheti eyyâmin mutetâbiâtin“ und meinte dass
die ’Kaffara’ (Sühne für eine bestimmte Tat) für ’yamîn’ (Schwur), wenn man sie
bricht, 3 Tage hintereinander Fasten ist. Ghazalî sagt: „Da das Wort
’mutetâbiâtin’ keine Mutawatir-Überlieferung ist, gehört es somit nicht zum Koran, d.h. es ist
keine Pflicht hintereinander 3 Tage zu fasten.“ Abu Hanifa jedoch meint, dass
man dennoch die drei Tage hintereinander fasten soll, denn er sieht die
Überlieferung von Ibn-i Mas’ud als ’habar-i wahid’ (authentische Überlieferung
mit einem Tradenten), welche ausreicht um einer Sache eine Norm zu geben. Ghazalî ist nicht dieser Ansicht, denn ein
einziger Tradent reiche nicht aus, um eine Sache als Pflicht zu erklären. Eine
Norm könne nur durch eine Mutawatir-Überlieferung aufgestellt werden.
2. Beispiel: „Ist die ‚Basmala’ (Eröffnungsformel im Koran) ein
Vers?“
Hier diskutiert Ghazalî sehr ausführlich inwieweit die ’Basmala’
ein Teil des Korans ist. Er meidet dabei auch nicht seine Nähe zu Imam
Asch-Schafî zu zeigen. Für ihn ist die ’Basmala’ ein Vers aus dem Koran. Doch
ob sie in jeder ’Sura’ (Kapitel aus dem Koran) der erste Vers ist, das ist
umstritten. Ghazalî schreibt: „Da die
’Basmala’ mit dem Koran zusammengeschrieben und im gleichen Schriftformat ist,
gehört sie zum Koran. Sie wurde ’tawaturen’ (als Mutawatir) überliefert.
Kadi sagt, dass die ’Basmala’ nur im 30. Vers der 27. Sura
„إِنَّهُ مِن سُلَيْمَانَ وَإِنَّهُ بِسْمِ
اللَّهِ الرَّحْمَنِ الرَّحِيمِ“
vorkommt. Sie ist deshalb für ihn nicht der erste Vers der Suren. Diese
Auffassung ist falsch, denn Ibn-i Abbas überliefert: „Wenn der Engel Dschabrail
nicht mit der ’Basmala’ kam, wusste der
Prophet niemals, ob eine Sura nun beginnt oder endet.“ Außerdem hat der 3.
Kalif Uthman bin Affan die ’Basmala’ im Koran jeweils als ersten Vers
aufschreiben lassen. Und kein einziger hat ihn damals deswegen beanstandet.
Wenn einer sagt, es gäbe kein ’Basmala’ im Koran, der ist ein ’Kafir’ (Leugner,
Ungläubiger), wer jedoch sagt, sie ist ein Bestandteil des Korans, aber nicht
am Anfang jeden Verses, den kann man nicht ächten. Da sie nun als
Mutawatir-Überlieferung zu uns gelangt ist, müssen wir unsere rituellen Gebete
auch immer mit ’Bism-illahir-rahmanir-rahîm’ (Mit dem Namen Allahs, des
Erbarmers des Barmherzigen) immer beginnen….“
D. Die Aussagen und Wörter des ’al-kitâb’
Ghazalî beschäftigt sich auch ausführlich mit der Sprache des
Korans. Er geht in seinem Buch folgenden Fragen nach:
a) Gibt es im Koran Metapher (Me’dschaz)?
Er antwortet: „In der arabischen Sprache gibt es sowohl ’haqiqa’
(Wörter in der eigentlichen Bedeutung) als auch ’me’dschaz’ (metaphorische
Wörter, Wörter im übertragenen Sinne). Deshalb gibt es auch im Koran, der ja
auf Arabisch ist, sehr viele Metaphern. Einige Beispiele:
„Frage nur in der Stadt nach, in der wir waren, und in der
Karawane, mit der wir kamen; gewiss, wir sagen die Wahrheit.“ (12:82)
„(…) Nun fanden sie dort eine Mauer, die einzustürzen drohte, und
er richtete sie auf (…)“ (18:77)
„Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht ist gleich
einer Nische, in der sich eine Lampe befindet: Die Lampe ist in einem Glas; das
Glas gleich einem funkelnden Stern. Angezündet (wird die Lampe) von einem
gesegneten Ölbaum, der weder östlich noch westlich ist, dessen Öl beinahe
leuchten würde, auch wenn das Feuer es nicht berührte. Licht über Licht. Allah
leitet zu Seinem Licht, wen Er will. Und Allah prägt Gleichnisse für die Menschen,
und Allah kennt alle Dinge.“ (24:35)
„Allah verspottet sie und lässt sie weiter verblendet umherirren.“
(2:15)
„(…) Sie schmiedeten Pläne, (aber) auch Allah schmiedete Pläne, und
Allah ist der beste Planschmied.“ (8:30)
„(…) Sooft sie ein Feuer für den Krieg anzündeten, löschte Allah es
aus, und sie trachteten nur nach Unheil auf Erden; und Allah liebt nicht die
Unheilstifter.“ (5:64)
„(…) Siehe, Wir haben für die Frevler ein Feuer bereitet, das sie
wie eine Zeltdecke umschließen wird. (…)“ (18:29)“
b) Gibt es im Koran Wörter, die nicht arabisch sind?
Ghazalî sagt dazu: „Kadi behauptet, dass der Koran keine
Fremdwörter außer dem Arabischen beinhaltet. Andere sagen, dass es einige
Fremdwörter in ihm vorhanden sind. Kadi meint dazu: „die Herkunft aller Wörter
ist aus dem Arabischen“ und gibt als Beleg dafür folgende Verse:
„Und Wir wissen wahrlich, dass sie sagen, wer ihn lehrt, sei nur
ein Mensch. Die Sprache dessen jedoch, auf den sie hinweisen, ist eine fremde,
während dies hier eine deutliche arabische Sprache ist.“ (16:103)
„Hätten Wir ihn als einen Qur'an in einer fremden Sprache
abgefasst, hätten sie gesagt: "Warum sind seine Verse nicht in einer
fremden und in einer arabischen (Sprache) klar gemacht worden?" Sprich:
"Er ist eine Führung und eine Heilung für die Gläubigen. (…)“ (41:44)
Kadi behauptet weiterhin: „Wenn der Koran andere Wörter
nichtarabischer Herkunft hätte, würden die Araber dies als Vorwand nehmen und
sagen, wir verstehen dies nicht und das nicht.“ Nach unserer Meinung hat Kadi
Unrecht, denn die wenigen nichtarabischen Wörter machen aus dem Koran keinen
nichtarabsichen Koran, der Koran bleibt also arabisch. Das ist genauso wie ein
persisches Gedicht, das einige arabische Wörter enthält nicht gleich zu einem
nichtpersischen Gedicht wird.
genauso, wie bei einem
Persischen Gedicht, in dem einige arabische Wörter vorhanden sind. Das Gedicht
bleibt ein „persisches Gedicht“.
c) Gibt es im Koran Mehrdeutigkeit (’mutaschabihat’)?
Im Koran gibt es sowohl ’muhkamat’ (Eindeutigkeit) als auch
’mutaschabihat’:
„Er ist es, Der dir das Buch herabgesandt hat. Darin sind eindeutig
klare Verse - sie sind die Grundlage des Buches - und andere, die verschieden
zu deuten sind. Doch diejenigen, in deren Herzen (Neigung zur) Abkehr ist,
folgen dem, was darin verschieden zu deuten ist, um Zwietracht herbeizuführen
und Deutelei zu suchen, (indem sie) nach ihrer abwegigen Deutung trachten. Aber
niemand kennt ihre Deutung außer Allah. Diejenigen aber, die ein
tiefbegründetes Wissen haben, sagen: "Wir glauben wahrlich daran. Alles
ist von unserem Herrn." Doch niemand bedenkt dies außer den Einsichtigen.“
(3:7)
Das Wort ’muhkamat’ wird abgeleitet von der Wurzel ’uhkima’
(„zwischen zwei Dingen unterscheiden“). Es ist ein substantiviertes Verb im
Plural mit der Bedeutung „Urteile, Entscheidungen“. Fachspezifisch bedeutet es:
„alle Koranverse mit klaren eindeutigen Entscheidungen oder Regelungen.“
Das Wort ’mutaschabihat’ wird abgeleitet von der Wurzel
’ischtabaha’ („zweifelhaft sein“). Es ist ein substantiviertes Verb im Plural
mit der Bedeutung „die ungewissen oder zweifelhaften Dinge“. Fachspezifisch
bedeutet es: „Diejenigen Verse des Korans, deren Bedeutung nicht klar ist, oder
über die nicht völlige Einigkeit herrscht, und die zwei oder mehrere
Auslegungen zulassen.“ (Denffer, 2005, S.96)
Imam al-Ghazalî gibt als Beispiel für ’mutaschabihat’ folgendenen
Vers: „(…) in dessen Hand der Ehebund ist (…)“ (2:237). Er sagt dazu: „Der
Ehebund kann sowohl in der Hand des Ehemannes sein, als auch in der Hand des
’Wali’ (Heiratsvormund). Genauso kann das Wort ’lams’ (Berührung) gegenüber der
Frau in zweierlei Hinsicht verstanden werden, entweder das Berühren der Frau,
oder der Beischlaf mit der Frau: „(…) wenn ihr die Frauen berührt habt und kein
Wasser findet (…)“ (4:43) oder „Sie sagte: "Mein Herr, soll mir ein Sohn (geboren)
werden, wo mich doch kein Mann berührte?(…)" (3:47).“
Des Weiteren erklärt er, welche
Sinn die ’huruf al-muqatta’at’ (Einzelbuchstaben im Koran, deren
Bedeutung unklar sind) haben könnten: „Entweder sind sie die einzelnen Namen
der Suren, wie z.B. bei Yâ-Sîn und Tâhâ, oder Allah hat mit diesen Buchstaben
bezweckt, die Aufmerksamkeit der Araber auf den Koran zu wecken, oder Allah
wollte ihnen lediglich zeigen, dass Er sie mit (den Buchstaben) ihrer eigenen
Sprache anspricht.“
Am Ende seines Kapitels führt Ghazalî noch einmal einen Vers auf,
der ’mutaschabih’ ist und immer wieder gern zu Kalâm-Diskussionen genommen
wird: „الرَّحْمَنُ عَلَى الْعَرْشِ اسْتَوَى“
„(Er ist) der Allerbarmer, Der über Sein Reich majestätisch herrscht.“ (20:5).
Ohne eine Debatte anfangen zu wollen, möchten wir kurz versuchen, wie wir
diesen Vers deuten: Allah ist der Erhabene, der nichts Bedarf, von dem aber
alle abhängig sind, Er ist unabhängig der Zeit und ist unabhängig des Ortes,
d.h. er ist überall gleichzeitig. Deshalb kann man Allah keinen Ort zuweisen. Demnach wäre
folgende Deutung nicht richtig: „Der Gnadenreiche, Der Sich auf den Thron
niederließ.“
Schlussgedanken
Johann Wolfgang von Goethe schreibt in seinem „West-Östlichen
Divan“ (S. 203):
„Ob der Koran von Ewigkeit sei?
Darnach frag ich nicht!
Ob der Koran geschaffen sei?
Das weiß ich nicht?
Daß er das Buch der Bücher sei,
Glaub ich aus Mosleminen-Pflicht.“
Er erkennt, wie viele andere auch, dass der Koran „das Buch der
Bücher“, „die Mutter aller Bücher“ ist.
Der Koran ist ein Buch, in
dem gewiss keinen Anlass zum Zweifel gibt und der für die Gottesfürchtigen eine
Rechtleitung ist (vgl. Koran: 2:2).
Eine Rechtleitung, die dem Menschen zeigt, was wahr und richtig
ist. Mit dessen Hilfe man den „rechten Weg“ findet und schließlich zum besten
„Ziel“ aller Ziele, nämlich zum ewigen Paradies gelangt.
Eine Rechtleitung, die aber auch über den „falschen Weg“ berichtet,
den Menschen vor diesem warnt und
schließlich sie mit dem „Verderben“, mit dem „Verlust“ und mit dem „heißen
Feuer“ droht…
Obwohl viele Korangegner bisher versucht haben, einige Stellen aus
dem Koran zu entstellen, ist es ihnen bis heute nicht geglückt.
Es gibt nur einen Grund dafür:
„Wahrlich, Wir Selbst haben diese Ermahnung herabgesandt, und
sicherlich werden Wir ihr Hüter sein.“ (15:9)
LITERATURVERZEICHNIS
Zitate aus dem Koran wurden von der Internetseite des Zentralrats
der Muslime in Deutschland - https://www.islam.de - entnommen. Bei Zitaten aus
dem Koran werden die Nummern von Sure und Vers durch einen Doppelpunkt
getrennt. (3:107) bezieht sich beispielsweise auf den 107. Vers der 3. Sure.
Ahmad, M.T. (1980). Der Heilige Qur-an. Zürich: Juris.
Al-Gazali (1994). El- Mustafsa - İslam Hukukunda Deliller Ve Yorum
Metodolojisi (“al-Mustafsa min ’ilm al-usul“, Tercüme: H. Yunus Apaydın).
Kayseri: Rey Yayıncılık.
Denffer, A. v. (2005). Ulum al-Qur´an - Einführung in die
Koran-wissenschaften (aus dem Englischen übersetzt von Mohamed Abdallah Weth).
Karlsruhe: Deutscher Informationsdienst über den Islam e.V.
Draper, J.W. (1864). A History of the Intellectual Development of
Europe. New York: Harper brothers, publishers.
Esposito, J. L. (27. November 2001). Quoted in Jacqueline Blais’
“People Want to Know, So Koran is Best Seller,”. USA Today magazine.
Goethe, J. W. (1952). West-östlicher Divan. Zürich: Manesse.
Hofmann, M. (2002). Koran.
München: Hugendubel Verlag.
Schwarzenau, P. (1982). Korankunde für Christen - Ein Zugang zum
heiligen Buch der Moslems. Stuttgart: Kreuz-Verlag.
Vaglieri, L. V. (1930). Apologie de l'Islamisme (traduction
française de Maxime Formont). Paris: Editions Nilsson.
Yıldırım, Prof. Dr. S. (2005). Anahatlarıyla Kur’ân-ı Kerim ve
Kur’ân İlimlerine Giriş. İstanbul: Ensar Neşriyat.
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