Europäische Bildungsgeschichte


Europäische Bildungsgeschichte

04.10.2015 16:59

Kurzer Abriss der Bildungsgeschichte in Europa zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit
Im europäischen Mittelalter war die katholische Kirche hauptsächlicher Bildungsträger, meistens in Kloster- und Lateinschulen. Im mittelalterlichen Weltbild waren Glaube, Religion, Staat und Kirche miteinander eng verbunden.

Im 16. Jahrhundert veränderte sich Europa schlagartig. Durch Manufaktur und Erfindung des Buchdruckes und Webstuhls änderte sich der traditionelle und familiäre Lebensstil der Bevölkerung. Viele Menschen wanderten in Großstädte aus, doch die Armut der Menschen stieg ständig an. Dank des Buchdruckes konnten sich die Menschen in vielen Bereichen selbständig geistlich weiterbilden. Das Vertrauen in die Kirche verlor langsam an Gewicht. Zeitgleich kam es unter anderem in der Theologie zu einer neuen Reformation durch Martin Luther. Diese Reformation bezog sich nicht nur auf die Theologie, sondern stellte die grundlegende Kirchenspaltung am Beginn der Neuzeit dar, welche eine große konfessionelle Auseinandersetzung auslöste. Es kam zum 30 jährigen Krieg zwischen Protestanten und Katholiken. Luthers Theologie beeinflusste in Deutschland den Bereich der Bildung sehr stark. Weil er der Bildung und der Schule einen hohen Stellenwert zuschrieb, wurden seine Ansichten über Bildung, Wissen, Lehren und Lernen institutionalisiert.    

Im Zuge der Neuzeit kam es in vielen europäischen Ländern zu weiteren Reformprozessen, auch im Bereich der Bildung. Einer der ersten Didaktiker dieser Neuzeit war Comenius, der verschiedene Lehrbücher schrieb. Er beschäftigte sich mit Fragen wie „was und wie gelernt und gelehrt“ werden soll. Auch verfasste er ein Schulbuch mit dem Namen "orbis sensualium pictus - gemalte Welt", in dem er die Buchstaben des Alphabets beschrieb. Außerdem entwickelte Comenius einen Lehrplan, der die Lehrinhalte untereinander verknüpfte und sprach in diesem Lehrplan auch alle Wege der Sinneswahrnehmungen an. Sein Buch „große Didaktik“ galt Jahrhunderte lang als Standardwerk für Lehrpersonen. In diesem vertrat er folgende didaktischen Grundprinzipien: „zuerst das Allgemeine, dann die Details, - zuerst das Nahe, dann das Ferne, - zuerst das Leichte, dann das Schwere, - zuerst den Stoff, dann die Form, - zuerst das Beispiel, dann die Regel“.

Im 18. Jahrhundert erlebte Europa seinen zweiten Umbruch. Die Menschen begannen der Vernunft einen hohen Stellenwert einzuräumen. Das Zeitalter der Aufklärung und die Suche nach den Wahrheiten, die außerhalb von religiösen Begründungen standen, brach herein.  Der Europäer löste sich endgültig von der Kirche, für ihn war seine Selbstbestimmung das höchste Ziel.

Jean Jaques Rousseau (1712-1778) ist nach Immanuel Kant einer der bekanntesten Philosophen dieser Epoche. Im Jahre 1762 verfasste er seinen Roman „Emile oder über die Erziehung“. Darin beschrieb er die Entwicklungsphasen eines  Kindes. Ein neues pädagogisches Prinzip, welches als „negative Pädagogik“ bezeichnet wird, ist bei Rousseau vorzufinden. In der Erziehung vor allem bis zum 12. Lebensjahr soll zu allererst mehr unterlassen als getan werden. In Bezug auf die Erziehung und Bildung von Mädchen besitzt er, obwohl er im Zeitalter der Aufklärung lebte, eine eigentlich wenig aufklärerische Haltung: „Mädchen sollen nur so viel Bildung erhalten, dass sie ihren späteren Mann bewundern und unterstützen können. Rousseau fordert die Pädagogen auf, die Spiele der Mädchen bewusst zu unterbrechen, damit sie früh lernen, sich zu fügen. Für ihn sind Mädchen "von Natur aus" weder selbstbestimmungsfähig noch ist ein solcher Zustand bei ihnen wünschenswert“ (Kuhlmann, C. (2013). Erziehung und Bildung - Einführung in die Geschichte und Aktualität pädagogischer Theorien. Wiesbaden: Springer VS Fachmedien. S. 36)

Pestalozzi, der von Rousseau’s Schriften so begeistert war, dass er sogar seinen Sohn nach ihm benannte, lebte in der gleichen Epoche und war einer der führenden Denker seiner Zeit. Seine Bildungsmethode versuchte „eine systematische und mit Anschauungsmaterial versehene Vermittlung der Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen durch eine besondere Lernumgebung, in der Kinder mit "Zahlen", "Formen" und "Wörtern" Erfahrungen sammeln konnten“ (Kuhlmann 2013, S. 40).  Sein Hauptaugenmerk galt vor allem den Waisenkindern, die verwahrlost herumlebten. Er baute für sie Waisenheime, in denen auch Hauslehrer die Bildungsaufgaben übernahmen.

Ein dritter in dieser Epoche ist der bekannteste deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724-1804). Sein höchstes Ideal war die.  Seinen kategorischen Imperativ „Handle so dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann“ lernen alle SchülerInnen schon im Ethikunterricht des Gymnasiums auswendig. Erziehung zur Mündigkeit verläuft nach Kant in vier Stufen:

„1. Zunächst muss der Mensch im frühen Kindesalter diszipliniert, werden, d. h. seine "Wildheit" (seine Triebe) werden "bezähmt".

2. Daran anschließend soll er kultiviert werden, d. h. seine Geschicklichkeit und seine Fähigkeiten sollen ausgebildet werden (z. B. wenn er schreiben lernt).

3. Danach wird sein Verhalten zivilisiert, d. h. Umgangsformen und Manieren, die gesellschaftlich erwartet werden, sollen hier vermittelt werden.

4. Abschließend wird im letzten und wichtigsten Schritt das Kind moralisiert, d.h. es soll lernen mit der Vernunft einzusehen, welche Entscheidungen nach ethischen Gesichtspunkten richtig und falsch sind. Es geht also weniger um eine Belehrung über Moral als vielmehr um die Ausbildung der Fähigkeit, eine Wahl guter Zwecke für das eigene Leben treffen zu können“ (Kuhlmann 2013,        S. 45).

Dieser formulierte Anspruch an ein selbstbestimmtes Leben wurde in vielen demokratischen Ländern in die Kinderrechte eingebunden.

Ungefähr ein Jahrhundert später begann in Europa in Bezug auf Bildung das Zeitalter der Reformpädagogik. Zu einem der berühmtesten Persönlichkeiten dieser Epoche zählt Maria Montessori  (1870- 1952). Die Italienerin studierte als erste Frau Naturwissenschaften, später Pädagogik und Medizin. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Ärztin mit taubstummen und geistig behinderten Kindern. Nach ihrer Ansicht haben die Erwachsenen die Hauptaufgabe die Kinder zu fördern, ihre Selbständigkeit zu erwerben. Die Erzieher helfen dem Kind am besten, wenn sie eine Umgebung schaffen, in der es Selbständigkeit ausüben kann. Daher spricht sie die zentrale Forderung der Kinder an Erwachsene folgender Maßen aus: "Hilf mir, es selbst zu tun!" (Kuhlmann 2013, S. 105). Damit sie besser arbeiten können, entwickelte sie für Kinder Sinnesmaterialen mit folgenden besonderen Eigenschaften: „- Es soll sinnlich erfahrbar sein, aber jeweils vor allem einen Sinn ansprechen (z. B. Buchstaben aus Sandpapier) - Es soll eine selbständige, vom Erwachsenen unabhängige Fehlerkontrolle ermöglichen (z. B. Lösungen auf der Rückseite) - Es soll zur Ordnung aufrufen (von groß nach klein, von laut nach leise) - Es soll nur jeweils einmal vorhanden sein, damit die Kinder lernen, sich zu arrangieren.“ (Kuhlmann 2013, S. 106) Diese Sinnesmaterialien haben nur die Funktion von Arbeitsmaterialien, da Kinder zu deren Nutzung weder Spiel noch Märchen brauchen.

Im Jahr 1900 verfasste Sigmund Freud (1856-1939) „Die Traumdeutung“, eine wissenschaftliche Theorie des Traums, welche ein grundlegendes Werk der Psychoanalyse ist. In der von ihm gegründeten Psychoanalyse geht es um tiefenpsychologisches Denken, das unbewusste Wünsche, Triebe und Gefühle als wichtige Motive für das menschliche Handeln hervorbringt. Die Annahme ist, dass das menschliche Verhalten nicht allein durch die Vernunft zu erklären ist, sondern Gefühle ausschlaggebend für die Handlungen sind. „Tiefenpsychologisch denken heißt für pädagogisches Handeln, anzuerkennen, dass immer auch das Kind in mir mit dem Kind vor mir agiert. Erwachsene werden von unverarbeiteten, manchmal tief verdrängten Gefühlen beeinflusst“ (Kuhlmann 2013, S. 173).  Mit der Tiefenpsychologie hat Freud vor allem Verhaltensauffällig-keiten von Kindern untersucht, damit er diese besser verstehen konnte.

Nach der totalen Zerstörung vieler Teile Europas im zweiten Weltkrieg unter anderem als Reaktion auf das autoritäre Regime des Nationalsozialismus hat sich im Bildungswesen ein neuer Trend entwickelt. Die Zeit der „Antiautoritären Pädagogik“ brach ein, denn vor allem Deutschland erfuhr davor 12 Jahre lang Gewalt, Gehorsam und Unterdrückung durch das nationalsozialistische Regime. Allen voran hatten die Eltern die autoritären undemokratischen Vorgaben dieses Regimes so satt, dass sie ihren Kindern totale Freiheiten gönnten. Typisches Erziehungsziel war es  den Menschen glücklich zu machen. Nach Alexander Sutherland Neill’s Auffassung (1883-1973) ist ein glücklicher Straßenkehrer besser als ein neurotischer Wissenschaftler, daher dürften Kinder nicht zu etwas gezwungen werden, was sie nicht freiwillig selber tun. 

Bildung und Erziehung aus heutiger Sicht hat verschiedene Facetten. Diese antiautoritäre Pädagogik hatte zu Folge, dass viele Kinder nicht mehr auf ihre Eltern und Lehrer hörten und ungehorsam wurden. Daher war in der Gesellschaft die Nachfrage an „Erziehungsberater“ enorm gestiegen. Fernsehsendungen wie „Supernanny“ waren  nun angesagt. Außerdem entwickelten sich verschiedene neuere Erziehungsmodelle. Partizipartiv-Autoritative Erziehung ist ein Erziehungsstil, der von einigen Familientherapeuten seit den 70 er Jahren empfohlen wird.

 „Nach Klaus Hurrelmann zeichnet sich der partizipartiv-autoritative Erziehungsstil dadurch aus, dass Erwachsene bei Konflikten immer auf der Suche nach einem fairen Kompromiss zwischen Eltern und Kindern bleiben. Erziehung ist in diesem Verständnis ein freundliches Begleiten und Mitfühlen. Es erfolgen zwar eindeutige Sanktionen, wenn Regeln überschritten werden, aber es gibt eine ständige Bereitschaft zum Dialog. Der partizipartiv-autoritative Erziehungsstil grenzt sich vom autoritären wie auch vom permissiven ab und will Achtung vor und Rücksichtnahme auf kindliche Bedürfnisse vermitteln. Die Ausübung elterlicher Autorität und die Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse sollen dabei ins Gleichgewicht kommen“ (Kuhlmann 2013, S. 237).

Daneben sind heute auch demokratische Erziehungsprogramme und Elterntrainings sehr gefragt. „Aus der Menge der Angebote stechen aus erziehungswissenschaftlicher Sicht die Elternprogramme "STEP" (Systematic Training for Effective Parenting) und "Starke Kinder brauchen starke Eltern" hervor, weil sie sowohl praktikabel, wie auch demokratisch sind und den autoritativen Anteil auf das notwenige Maß beschränken“ (Kuhlmann 2013, S. 240).  Das Ziel bei diesen Programmen ist es, dass die Kinder lernen zu kooperieren.

Natürlich muss man aber hier klarstellen, dass einige neuzeitliche pädagogische Ansätze wie antiautoritäre Pädagogik oder aber bestimmte Elternprogramme nicht die Erziehungswissenschaft im Ganzen bestimmt haben, sondern nur ein Spektrum davon ausmachten. Ein anderer Bereich der Pädagogik etablierte sich ab den 1950‘er Jahren in Frankfurt. Die „Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung“ wurde gegründet und trieb den Aufschwung von der  empirischen Forschung im deutschsprachigen Raum an. Als Begründer im deutschen Sprachraum war es für Lay und Meumann mit der Etablierung dieser Forschung ein Ziel, einerseits die Willkürlichkeiten in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu beseitigen und andererseits eine vernünftige und wissenschaftliche Praxis zu schaffen.       

Ab dem Beginn des 21. Jahrhunderts kommt es endgültig zu einer empirischen Kehre in der Erziehungswissenschaft. Das heutige Bildungswesen richtet sich seither stark nach PISA und Bologna. Seit jenem Jahr werden durch die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) die PISA-Studien durchgeführt („PISA“ ist die Abkürzung für "Programme for International Student Assessment“). Diese Studie ermöglicht es internationale Vergleiche der Leistungsfähigkeiten der SchülerInnen und der Schulsysteme zu machen. Zwei Stunden lang werden eine Million 15-Jährige getestet. Dabei geht es im Wesentlichen um Kompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Es geht nicht nur um das Wissen, sondern ob die SchülerInnen dieses Wissen anwenden können. Daher wurden nach vielen Diskussionen neue Bildungsstandards festgelegt, die sich insbesondere nach Kompetenzerwerb richteten.  

Kompetenzen haben auch bei dem sogenannten Bologna-Prozess, in dessen Folge Empfehlungen für die Vereinheitlichung der europäischen Bildungsabschlüsse vorgeschlagen wurden, enorm an Bedeutung gewonnen. „Hier wurden von der Schulbildung, über die berufliche Ausbildung bis zur universitären Bildung ebenfalls Kompetenzniveaus festgelegt. In insgesamt sieben Niveaus unterscheidet die Empfehlung der Kultusministerkonferenz beispielsweise den Bachelor-Level vom Master-Level und diesen vom Promotions-Level. Es geht dabei um instrumentelle, systemische und kommunikative Kompetenzen.“ (Kuhlmann 2013, S. 244).



Literaturhinweis:
Erkan Erdemir (2014). Vergleich der Bildungsansichten von Ibn Haldun und Wilhelm von Humboldt (Masterarbeit). München: GRIN Verlag GmbH 


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