Islamische Bildungsgeschichte


Islamische Bildungsgeschichte

30.09.2015 06:39


Die islamische Bildungsgeschichte beginnt mit dem Propheten Muḥammad (Gottes Segen und Frieden auf ihm). So wie alle anderen Propheten die ersten Lehrer für ihre Völker waren, war auch Muḥammad (G.S.F.I) die erste Person, die den Muslimen in Mekka sowohl mit Lehrtätigkeiten als auch als Vorbild zu Verfügung stand. Sehr oft erklärte er den Menschen, dass er als Lehrperson beauftragt worden war. Auch der Qur’ān bestätigt seine Vorbildfunktion: „Wahrlich, im Gesandten Allahs ist für euch ein schönes Vorbild“ (Qur’ān, 33:21). Daher hat er den Menschen die Grundlagen der Religion beigebracht und durch seine Praktiken vorgelebt. Wo er selber nicht hingelangen konnte, sandte er LehrerInnen mit dem Auftrag die Religion zu vermitteln.

Der Qur’ān spricht gleich im ersten herabgesandten Vers den Menschen mit „Lies“ (Qur’ān, 96:1) an. Wie das Lesen sein sollte erklärt der Prophet in zwei Aḥadīṯ folgendermaßen: „Wissen zu erwerben, begonnen von der Wiege bis zum Grab“ „ist für Männer und Frauen im Islam eine Verpflichtung“ (überliefert in Ši’ra).

Wie wir sehen, war es schon zu Lebzeiten von Muḥammad (G.S.F.I) für alle Muslime und Musliminnen eine Pflicht Wissen zu erwerben. An zwei weiteren Stellen im Qur’ān findet man die Wichtigkeit von Wissenserwerb: „Sind diejenigen, die wissen, gleich denjenigen, die nicht wissen?“ (Qur’ān, 39:9) und „Wenn ihr nicht wisst, dann fragt diejenigen, die wissen“ (Qur’ān, 16:73). Dennoch kann man davon ausgehen, dass am Anfang nur die Erwachsenen eine Bildung bekamen. Die ersten Muslime waren LehrerInnen und SchülerInnen gleichzeitig. Sie lernten den Qur’ān vom Propheten auswendig und brachten ihn wieder anderen bei. So stieg die Anzahl der ersten Ḥāfiẓ (diejenigen, die den ganzen Qur’ān auswendig können) rasch an. Der Ort, an dem die ersten Lehrtätigkeiten im Geheimen stattfanden, war das Haus von Arqam. Geheim  deswegen, weil der Gesandte die ersten drei Jahre seine Botschaft nicht öffentlich verkünden konnte. Mekka wurde nämlich von den Götzenanbetern regiert, die eine neue Religion nicht duldeten.

Nach dem Qur’ān ist die Quelle des Wissens göttlich. Der erste Mensch und Prophet Adam lernte das Wissen von seinem Herrn, welches nicht einmal den Engeln gegeben wurde. Deshalb ist der Mensch ein Wesen, das von den Engeln geehrt werden musste.

Der Qur’ān berichtet uns diesbezüglich:

„31. Und Er lehrte Ādam die Namen alle. Hierauf legte Er sie den Engeln vor und sagte: „Teilt Mir deren Namen mit, wenn ihr wahrhaftig seid!“ – 32. Sie sagten: „Preis sei Dir! Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast. Du bist ja der Allwissende und Allweise.“ 33. Er sagte: „O Ādam, teile ihnen ihre Namen mit!“ Als er ihnen ihre Namen mitgeteilt hatte, sagte Er: „Habe Ich euch nicht gesagt, Ich kenne das Verborgene der Himmel und der Erde, und Ich weiß auch, was ihr offenlegt und was ihr verborgen zu halten sucht?“ (Qur’ān, 2:31-33)  

Der Qur’ān beschreibt die Lehrtätigkeit so, dass Menschen körperlich, kognitiv, emotional und moralisch nach guten, schönen und richtigen Sachen sich orientieren sollen und sich fern vom Schlechten halten sollen.

Da die meisten Mekkaner des Lesens unkundig waren, beauftragte der Gesandte Lehrer, die den Muslimen das Schreiben und Lesen beibrachten. So stieg die Anzahl der Lesekundigen ständig an.

Der Prophet schickte im zehnten Jahr seiner Berufung Musʿab ibn ʿUmair als Lehrer von Mekka nach Medina, um die dortigen Menschen die den Islam erst angenommen hatten zu unterrichten. Dieser brachte ihnen die Grundlagen des Islams und den Qur’ān bei.  

Nach dem die Muslime im Jahre 622 n.Chr. alle nach Medina ausgewandert waren, wurde seitens Muḥammad (G.S.F.I) als aller erstens eine Moschee mit einem Bildungszentrum errichtet. Dieses Zentrum hieß Suffa. Die Bildungsaktivitäten wurden von dann an in der Moschee zu jeder Zeit durchgeführt.

Nach dem Ableben des Propheten verlief die Bildungsarbeit in gleicher Weise fort. Die Bildungsstätten waren die Moscheen, die Lehrkräfte waren ehrenamtliche Personen, die Grundlagen der Religion, Sprach und Literaturkunde weitergaben. Dies dauerte bis die ersten Madrasa (islamische Bildungseinrichtung) eingerichtet wurden.

Freitags war der wöchentliche Tag, an denen große Vorlesungen in den Moscheen stattfanden. Zu denen war die Teilnahme der Männer verpflichtend, aber auch Frauen pflegten mitzukommen und zuzuhören.

Im Jahre 1066 n. Chr. wurde in Bagdad die aller erste Madrasa durch den Seldschuken-Wasīr Nizām ul-Mulk (1018-1092) errichtet. Sie hieß Nizāmiya- Madrasa. Man kann sie als die erste Universität bezeichnen. Die Lehrkräfte bei diesen Bildungseinrichtungen waren sehr gut ausgebildet. Die Ausbreitung dieser Madrasa verlief schlagartig.

Diese islamischen Bildungseinrichtungen wurden meistens neben den großen Moscheen erbaut. Außerdem errichtete man neben den Moscheen Bibliotheken und Räumlichkeiten für Kinder. Später wurden nach Bedarf Essenslokale, Krankenhäuser und caritative Hilfseinrichtungen in den Komplex hinzugefügt. Im heutigen Sinne waren diese Komplexe wie große Universitätscampuse.

In diesen Madrasa wurden keineswegs nur islamisch-religiöse Fachrichtungen unterrichtet. Fakultäten für Medizin, Bauwesen und Ingenieurwesen waren miteingegliedert. Auch die Dozenten wurden in diesen Einrichtungen ausgebildet.

Zeitgleich gab es auch in den  Palästen speziellen Unterricht in allen gängigen Fächern für die Kinder der Sultane und Kalifen. Besonders gut ausgebildete Lehrer wurden seitens der Monarchen hergeholt, die den ganzen Tag mit der Erziehung der Zöglinge beschäftigt waren. Daneben sind deren Kinder auch in Schulen mit dem Namen Maktab zum Unterricht gegangen, damit sie mit anderen Kindern zusammen lernen und beisammen sein konnten.

In der islamischen Geschichte treffen wir auf vier Namen, die bei Etablierung von Bildungsreinrichtungen eine besondere Rolle gespielt haben. Neben dem schon genannten Nizām ul-Mulk sind die Namen ‘Abdullāh al-Ma’mūn, Nūraddīn Zangī und Salāhaddīn al-Ayyūbī hervorzuheben.  

‘Abdullāh al-Ma’mūn (786-833) gründete im Jahre 830 die „Bayt al-Hikma“ (das Haus der Weisheit) in Bagdad. Dort ließ er vor allem griechische Werke in den Bereichen der Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften übersetzen.

Nūraddīn Zangī (1118-1174) ist der Nachfolger von Nizām ul-Mulk. Er errichtete in Syrien zahlreiche Madrasa und öffnete ihre Toren den LehrerInnen, die in den Nebenstaaten Irak und Chorasan von der schlechten Führung unterdrückt wurden. Im Jahre 1167 ließ er in Damaskus als erster Herrscher einen prächtigen Madrasa-Moschee-Komplex mit einer Grabstätte errichten, in der er später begraben wurde.

Salāhaddīn al-Ayyūbī (1137-1193) ist der Nachfolger von Nūraddīn Zangī. Er herrschte in Ägypten und Syrien. Zahlreiche Madrasa ließ er in Ägypten errichten. Dies war keineswegs eine leichte Aufgabe für ihn, denn er musste diese Madrasa in Ägypten vor den Angriffen und Plünderungen der Tataren in Schutz nehmen. Er hat nicht nur StudentInnen aus seinem Heimatland Irak nach Ägypten eingeladen, sondern auch viele andere von den restlichen Gebieten Nordafrikas. So wurde er als ein Herrscher, der der Bildung einen hohen Stellenwert eingeräumt hat, hoch geschätzt.    

Nicht vergessen darf man, dass zu jener Zeit, als in Europa das „dunkle Mittelalter“ herrschte, die Blütezeit der islamischen Wissenschaften vorzutreffen ist. Viele islamische Gelehrte haben zahlreiche Errungenschaften in Physik, Chemie, Medizin, Mathematik, Astronomie, Bauwesen und Architektur hervorgebracht.

Auch waren die Bibliotheken, Buchhandlungen und Literaturhäuser in der damaligen Zeit sehr bekannt dafür, dass in ihnen Bildungsaktivitäten stattfanden. Vor allem wurden in ihnen verschiedene Dicht-und Literatur-veranstaltungen abgehalten, bei denen viele StudentInnen teilnehmen konnten.

Die Gelehrten hatten stets ihre Wohnungen für wissensdurstige StudentInnen offen. Diese suchten sie auf, nahmen an Vorlesungen teil, bedankten sich für die Gastfreundschaft der Lehrenden und vertieften sich über das Gelernte zu Hause weiter.

Die Blütezeit dieser islamischen Bildungsreinrichtung endete gegen Ende des 16. Jahrhunderts, weil die Zahl der StudentInnen ständig anwuchs und die Qualität dieser Madrasa abnahm. Die verschiedenen Fachrichtungen lösten sich allmählich auf, so dass am Ende nur die theologische Fakultät als einzige Fachrichtung bis zum Jahre 1924 in den Einrichtungen vorzufinden war. Danach wurden die Madrasa endgültig geschlossen. Erst 35 Jahre später, im Jahre 1959 konnten in der Türkei  zunächst theologische Institute und im Jahre 1982 schließlich theologische Fakultäten wieder errichtet werden. 

Im Jahre 1839 kam es im Bildungswesen des Osmanischen Reiches zu einigen Erneuerungen. Neue Staatsschulen, insbesondere im Primärbereich wurden gegründet. Der Religionsunterricht wurde fortan zu diesen Schulen verschoben.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Osmanische Reich aufgelöst. Die arabischen Völker wurden in Nationalstaaten umstrukturiert. Die Türkei wurde zu einer Republik ernannt, die Staatsstruktur wurde laizistisch, die Staatsverfassung wurde aus Europa übernommen. Die früheren Bildungseinrichtungen wurden geschlossen. Von Europa wurden die Bildungslehrpläne und -inhalte übernommen. Gleichartige Bildungseinrichtungen wurden geschaffen. Die Lehrinhalte waren nicht mehr religiös behaftet. Für religiöse Angelegenheiten wurde speziell ein Amt errichtet, das zuständig für den Einsatz von Imamen in den Moscheen war. In den Staatsschulen wurde Islamkunde und Morallehre für alle SchülerInnen ein Pflichtgegenstand.

Auch in vielen arabischen Ländern gab es nach den Nationalstaatsgründungen ähnliche Entwicklungen. Da sie zu meist von europäischen Ländern kolonialisiert wurden, haben sie deren Bildungssysteme in ihren Ländern integriert. Teilweise haben sie sogar die amtliche Staatssprache nach der Sprache der Kolonialstaaten umgeändert (Algerien, Marokko).   



Literaturhinweis:

Erkan Erdemir (2014). Vergleich der Bildungsansichten von Ibn Haldun und Wilhelm von Humboldt (Masterarbeit). München: GRIN Verlag GmbH


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